Montag, 10.30 in Kreuzberg, Berlin. Um uns herum ist geschäftiges Treiben. Die Menschen auf der Baustelle und in den Backshops sind schon lange am Werk. Für sie ist es Zeit für eine Pause. Wir fragen uns, ob die Menschen, die wir gleich treffen werden, überhaupt eine Pause machen. Oder ob sie erst gar nicht anfangen zu arbeiten.

Wir haben nämlich einen Termin bei der Agentur gegen Arbeit. Ob sie hier heute Ihr erklärtes Ziel ist es, gegen die “betriebsblinde Arbeitskultur” vorzugehen und zu helfen, kollektiv die Arbeitszeit auf 20h/Woche zu senken. Wir waren uns nicht sicher, was wir erwarten sollten. Ein hedonistisches Rave-Kollektiv, ein Sozialprojekt, den PR-Stunt einer Kommunikationsagentur?

Nun stehen wir vor einem Gebäude, in dem sonst noch ein Studio für Grafikdesign und ein hippes Café ansässig sind. Anders als die anderen Gewerbeparteien im Haus steht die Niederlassung, die wir ansteuern, nicht unbedingt für die fortschreitende Gentrifizierung des Kiezes. Wir haben eine Agentur erwartet, wie sie in Mitte und Kreuzberg vielfach anzutreffen ist. Ein hippes Büro mit Sichtbeton-Wänden und höhenverstellbaren Schreibtischen. Ausliegende Bildbände über nachhaltige Architektur in Skandinavien, Butoh-Tanz in Japan und bemalte Jitney-Busse im Senegal.

Stattdessen stellen wir fest, dass die Agentur in den Räumlichkeiten einer Beratungsstelle untergebracht ist, deren Arbeit sich sonst um Fragen von Sozialrecht, Migrationsrecht und Anti-Rassismus-Arbeit dreht. Hier hängen Plakate von vergangenen Demos gegen Rechtspopulismus und gegen Rassismus. Sonst liegen Broschüren aus, die über den Umgang mit dem Racial Profiling der Polizei informiert. Es gibt einen Tresen und eine Hochbauplattform mit weiteren Arbeitsplätzen. Wir werden begrüßt von einer Person, die sich als Schimmel vorstellt. Im Hintergrund läuft das Radio mit dem Berliner Rundfunk und den größten Hits der 80ern.

Wir werden von einem ungleichen Duo willkommen geheißen. Zum einen wäre da Tina, 29 Jahre alt und seit zwei Jahren in der Agentur. Sie hat Sozialwissenschaften studiert und arbeitet erwerbsmäßig als Coachin für politische Bildungsarbeit. Sie bezeichnet sich als intersektionale Feministin und ist in der Klimagerechtigkeitsbewegung sowie bei der Seebrücke aktiv, die sich gegen die Abschottungspolitik an den europäischen Grenzen einsetzt. Ihr Auftreten wirkt bestimmt und ihre Worte gewählt, ihre Kleidung stylisch und edgy zugleich, durchaus typisch für einer Vertreterin der neuen Bewegungslinken. Sie ist sportlich-urban bekleidet, mit markigen lila gefärbten Haaren, Sneakern, einer schwarz-pinken Oversize-Sportjacke, welche am Rücken mit einem Aufnäher versehen ist: “Männer LOL”.

Dann wäre da noch Schimmel. Dieser Mensch besteht darauf, sich selbst im Wortlaut beschreiben zu dürfen. Schimmel ist der Ansicht, dass sich sonst “mein wahrer Charakter verflüchtigt in den Händen karrieregeiler Leute, die nichts anderes als Schule, Uni und Journalismusschmiede gesehen haben”. Das “Destillat Person” ist nach Schimmel also dieses: “Jaa, Schimmel halt. Tina hat mir jesagt, dass icke mir mein Pronomen selbst aussuchen kann und von dieser Gelegenheit möchte ditte jerne Gebraucht machen. Schimmel, Pronomen ‘dit’/’ditte’, Jahrgang unbekannt, Herkunft nirgendwo, Aussehen egal, nichts gelernt. Arbeit ist der menschlichen Natur zuwider und deshalb bin ich hier. Mit den andern hab ick nüscht am Hut, aber los werd’ ich sie och nimmer.” Wir belassen es an der Stelle mit der Vorstellungsrunde und starten ins Gespräch ein.

Wie kam es zum Namen Agentur zur Senkung der Arbeitsmoral? Bei einigen unserer Leser_innen dürfte es klingeln und sie werden sich an Heinrich Bölls Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral erinnert fühlen. Gibt’s da eine Verbindungslinie?

Schimmel: Die Arbeit würd ich eigentlich ganz gerne euch Journis überlassen. (lacht)

Tina: Na komm schon, wenn sie schon so nett fragen. Ja klar, der Name unserer Agentur angelehnt an die Bölls Erzählung. In der Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral geht’s um einen Fischer am Mittelmeer, der gerade seine Mittagsruhe macht. Da kommt’n Touri und meint, obs heute kein guter Tag zum Fischen ist. Doch doch, meint der Fischer. Er war nur schon und der Fang war reichlich. Jetzt kann er sich also zurücklehnen. Rechnet ihm der Touri vor, was er davon haben kann, wenn er nochmal rausfährt. Wenn er das zu Am Ende könne er Stolz auf sein Werk zurückblicken und den Feierabend genießen. Meint der Fischer, dass er das doch jetzt schon mache.

Schimmel: Hahaha, Schenkelklopfer, morgen geht’s trotzdem wieder an die Arbeit. Und wenn er auf Dauer nur einmal am Tag rausfährt, dann geht er bald pleite. Öfter raus, schneller wieder rein, immer weiter aufs Meer hinaus. So lange geht das, die Fische alle weggefischt sind.

Tina: Schimmel macht da einen wichtigen Punkt. Die Pointe der Anekdote ist zwar ganz nett, um klar zu machen, wie die kapitalistische Steigerungslogik an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigeht. Aber sie ist schon längst zum Klischee. Ein weiteres Element kapitalistischen Wirtschaftens kommt darin natürlich überhaupt nicht vor - nämlich der Konkurrenz- und Verwertungsdruck. Ein kleiner Fischer würde in kürzester Zeit von der Konkurrenz verschluckt werden. Mit den Fangkosten/Kilo könnte er niemals mit den großen Flotten mithalten, geschweige denn mit den Trawlern auf hoher See. Wir wollten trotzdem an den Grundgedanken anknüpfen und fanden den Namen eingängig.

Was ist denn das Ziel der Agentur? Gewissermaßen steckt das schon im Namen, oder? Ihr wollt die Arbeitsmoral senken. Aber warum und wie wollt ihr das tun?

Tina: Also bei uns gibt es da durchaus einen Richtungsstreit, sowohl was die Zielsetzung als auch die Methoden angeht. Ein Teil von uns hat mit Arbeit an sich ein Problem und wählt die Mittel der Subversion und Verweigerung. Der andere Teil möchte verändern, wie gearbeitet wird und was als Arbeit anerkannt wird. Wichtiger ist es für diesen Teil, die Paradigmen von Arbeit und ihre Organisationsweisen zu verändern. Ihr dürft gerne raten, wer von uns für welchen Teil steht. (lacht)

Schimmel: Naja, also Verweigerung ist eben meine Bestimmung. Wenn andere arbeiten möchten, sollen sie das gerne tun. Aber ich find ja, dass ich die Mehrheit auf meiner Seite habe: Arbeit, am besten gar nicht. Kennt ja die Statistiken: x Prozent innerlich gekündigt und so weiter und so fort.

Tina: Naja, auf diese Form von Arbeit, die Menschen tagtäglich ausüben, haben viele verständlicherweise keine Lust. Nur würde ich der kapitalistischen produktiven Verständnisweise von Arbeit eine alternative Konzeption von Arbeit entgegenstellen: Arbeit als sorgende Tätigkeit, welche der Reproduktion des Lebens dient. Gerade in den heutigen Zeiten gibt es hier viel zu tun: Nicht nur müssen wir uns dafür einsetzen, dass bestehende reproduktive Arbeit voll anerkannt wird. Wir müssen die Wirtschaft so umkrempeln, dass sich die Menschheit überhaupt im großen Maßstab auf Dauer gesehen reproduzieren kann.Trotzdem gibt es bei uns durchaus einen gemeinsamen Nenner: Die Erwerbsarbeit muss drastisch reduziert werden. Wir richten uns also gleichermaßen gegen das, was gemeinhin überhaupt als Arbeit verstanden wird.

Schimmel: Wir sind gegen die gleiche neoliberale Gesamtscheiße. Gegen diese Kultur der Ego-Shooter. Gegen diese zwanghafte Arbeitskultur. Gegen Arbeit um der Arbeit willen. Was viele ja nicht wissen: Sie hängen immer noch auf dem selben geisteskranken Trip ab wie Henry Ford und diese puritanischen Sektenspinner.

Könnt ihr das noch ein bisschen ausführen? Was ist das Problem an der heutigen Arbeitswelt? Und wie hängt diese mit dem Puritanismus zusammen, also einer religiösen Bewegung, die sich im 16. Jhd. gegründet hat?

Schimmel: Naja, die sagt, dass unser Leben auf Erden qualvoll und erniedrigend sein muss, weil irgendwelche zwei süße unbedarfte Menschen einmal einen Apfel miteinander geteilt haben sollen. Wir müssen jetzt also büßen, dass sie das gemacht haben. Was sollen wir denn sonst von einem allgütigen und allmächtigen Wesen erwarten? Also gut, das ist die alte monotheistische Leier.

Tina: Der puritanische Twist ist nun, dass der Ausweg aus der Misere irdischer Existenz darin liegt, alle naheliegenden Auswege aus der Misere zu vergessen: Die meisten der kleinen und großen Genüsse auf Erden sind also Tabu: Freudiges Teilen der gemeinsamen Güter und ausgelassenes Feiern, Sex zum bloßen Vergnügen.

Schimmel: Stattdessen sollen wir ansparen für unser Seelenheil im Reich Gottes. Der materielle Wohlstand, den wir hier durch unsere Sparsamkeit aufhäufen, soll beweisen, dass wir gottgefällig leben und uns ein Logenplatz im Himmel gesichert ist.

Tina: Es ist mir wichtig, die Kontinuitäten in die heutige Zeit zu betonen. Auch viele Leute, die sonst nicht sonderlich viel mit der Kirche zu tun haben, leben nach einem strukturell ganz ähnlichen Grundgefühl. Das schlechte Gewissen, das uns in Stress versetzt, wenn wir im entferntesten den Eindruck haben, gerade unsere Zeit zu verplempern, hat sich tief in uns verankert.

Schimmel: Uns fällt dann nichts besseres ein, als aus Verlegenheit bis zum Burnout zu malochen. Irrsinnig ist das doch.

Tina: Oder wie Malochen heute aussieht: Mit dem To-Go-Kaffee in die U-Bahn quetschen und von 9-to-5 Excel-Sheets ballern. Dafür können wir uns dann in unsere überteuerte Innenstadtwohnung zurückziehen und Menschen im Regen durch die halbe Stadt gurken lassen, um die überteuerte Poké-Bowl reinzuziehen, auf die wir uns schon den ganzen Tag gefreut haben. Danach können uns dann unsere Social-Media-Profile checken. Und während wir uns so unsere kleine virtuelle Welt optimieren, können wir guten Gewissens die notleidenden Menschen direkt vor der Haustüre ignorieren. Denn die arbeiten ja schließlich nicht.

In dem Moment kommt ein Mensch mit Essen herein. Es gibt Poké-Bowls. Nun, wenn das nicht ein Zufall ist. Wir verabschieden uns zur Mittagspause und melden uns bald zurück.